Konferenz OAI « HouseEurope ! Die obsolete Stadt » am 22. September 2025

Rund einhundert Fachleute aus Architektur, Stadtplanung, Politik sowie Vertreter:innen der Zivilgesellschaft nahmen an dieser Veranstaltung teil.
Die Präsentationen von Florian Hertweck („HouseEurope!“) und Stefan Rettich („Zirkuläre Typologien – wie Digitalisierungsprozesse Flächenressourcen freisetzen“ + Katalog) können hier heruntergeladen werden.
Rückblick auf diese sehr erfolgreiche Veranstaltung:
Am Abend des 22. September lud der Ordre des Architectes et des Ingénieurs-Conseils (OAI) ins Forum Da Vinci in Luxemburg-Stadt ein, um eine der drängendsten Fragen unserer Zeit zu beleuchten: Wie lässt sich der Abriss von Gebäuden vermeiden, Ressourcen schonen und eine nachhaltige Bauwende einleiten? Rund einhundert Fachleute aus Architektur, Stadtplanung, Politik sowie Vertreter:innen der Zivilgesellschaft nahmen teil. Sie kamen, um Impulse aus Wissenschaft und Praxis zu hören und in einen offenen Dialog einzutreten.
Begrüßung und Einführung
Nach der Ankunft der Gäste eröffnete OAI-Direktor Pierre Hurt die Veranstaltung. Er erinnerte daran, dass der OAI die Stimme der Architekturschaffenden in Luxemburg sei und die Debatte über Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und zirkuläres Bauen nicht nur innerhalb der Fachwelt, sondern in der gesamten Gesellschaft geführt werden müsse.
Anschließend stellte Prof. Florian Hertweck von der Universität Luxemburg die Initiative HouseEurope! vor. Dabei handelt es sich um eine europäische Bürger:innenbewegung, die sich für die Sanierung und Weiternutzung bestehender Gebäude und gegen den flächendeckenden Abriss starkmacht. Die Dimension des Problems ist enorm: Bis 2050 könnten in Europa durch Abriss etwa eine Milliarde Quadratmeter bebaute Fläche verschwinden – eine Fläche, die in etwa der Größe von Paris und Berlin zusammen entspricht. Bereits heute entfallen in Luxemburg über 80 % des gesamten Abfallaufkommens auf Bau- und Abbruchabfälle, von denen nur ein Bruchteil tatsächlich recycelt oder wiederverwendet wird. Hertweck betonte, dass der Gebäudebestand nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches und kulturelles Kapital darstellt: „Wir müssen das Potenzial erkennen, das in der Weiterverwendung liegt – für den Klimaschutz, für die Wirtschaft und für unsere Baukultur.“
Zirkuläre Typologien – Hauptvortrag
Den Hauptvortrag hielt Prof. Stefan Rettich von der Universität Kassel. Unter dem Titel „Zirkuläre Typologien – wie Digitalisierungsprozesse Flächenressourcen freisetzen“ stellte er neue Ansätze vor, die aus seinem Forschungsprojekt Obsolete Stadt und der Publikation Die obsolete Stadt – Wege in die Zirkularität hervorgehen.
Rettich argumentierte, dass Digitalisierung, Klimawandel, die Verkehrswende, aber auch gesellschaftliche Veränderungen wie der Rückgang religiöser Praxis dazu führen, dass ganze Gebäudetypen obsolet werden. Diese Entwicklung eröffnet jedoch auch große Chancen: Flächen, die bisher festgelegt waren, könnten neu genutzt werden. Historische Beispiele, etwa die Umwandlung von Stadtbefestigungen in Parks, zeigen, dass solche Transformationsprozesse immer auch Innovationspotenziale freisetzen.
Heute entstehen ähnliche Möglichkeiten: der Rückgang des stationären Einzelhandels, der Bedeutungsverlust großflächiger Bürogebäude oder neue Mobilitätsformen, die Parkhäuser überflüssig machen. Rettich plädierte für eine vorausschauende, strategische Planung, die den Bestand nicht als Hindernis, sondern als Ressource begreift. Dafür brauche es flexible rechtliche Rahmenbedingungen, die Umnutzung und Umgestaltung erleichtern.
Podiumsdiskussion
Im Anschluss folgte eine lebhafte Diskussion, moderiert von der Journalistin und Architektin Chiara Desbordes. Auf dem Podium saßen neben Hertweck und Rettich auch OAI-Präsidentin Michelle Friederici sowie Stadt- und Raumplaner Lex Faber.
Die erste Frage richtete sich an Friederici: Welche Verantwortung tragen Planende und Bauherr:innen, um von einer Abrisslogik zu einem echten Kreislaufdenken zu gelangen? Sie erklärte, dass Architekt:innen bereits heute innovative Konzepte entwickeln, diese jedoch häufig an fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen oder mangelnden Förderinstrumenten scheitern.
Lex Faber brachte den luxemburgischen Kontext ein: In Luxemburg gebe es zahlreiche Umnutzungspotenziale – von leerstehenden Büroflächen bis hin zu ehemaligen Industriearealen. Er plädierte dafür, Obsoleszenz bereits im Bauprozess mitzudenken, sodass Gebäude von Anfang an so geplant werden, dass sie später umgenutzt werden können.
Hertweck ergänzte, dass die Ziele von HouseEurope! nur erreicht werden könnten, wenn die Zivilgesellschaft aktiv eingebunden werde. Bürger:innen müssten nicht nur informiert, sondern auch als Mitgestalter:innen beteiligt werden – sei es über partizipative Planungsprozesse oder Initiativen, die den kulturellen Wert von Bestandsgebäuden sichtbar machen.
Rettich wiederum betonte die Rolle der Digitalisierung als Hebel, um Flächenpotenziale freizusetzen. Homeoffice, flexible Arbeitsmodelle oder Carsharing könnten dafür sorgen, dass Flächen neu verteilt werden. Die zentrale Herausforderung bestehe darin, ungenutzte Räume frühzeitig zu identifizieren und sie nicht Spekulation, sondern sozialer, kultureller und ökologischer Nutzung zuzuführen.
Fragen aus dem Publikum
Die anschließende Fragerunde zeigte das große Interesse der Teilnehmenden. Diskutiert wurde unter anderem, ob ein Abriss nicht sinnvoll sein könne, wenn die freiwerdende Fläche der Renaturierung dient. Weitere Fragen betrafen die Finanzierung von Umbauprojekten, notwendige Anpassungen der Bauvorschriften und die Rolle geschlossener Materialkreisläufe in der Zukunft.
Die Beiträge aus dem Publikum machten deutlich, dass das Thema viele Facetten hat und die Debatte noch lange nicht abgeschlossen ist.
Fazit und Ausklang
Nach zwei intensiven Stunden endete der Abend mit einem Verre de l’amitié, das Gelegenheit bot, die Gespräche informell fortzusetzen und neue Netzwerke zu knüpfen.
Die Veranstaltung verdeutlichte: Eine Bauwende in Luxemburg ist dringend notwendig – und sie ist machbar. Voraussetzung ist jedoch ein Umdenken auf allen Ebenen: von der Gesetzgebung über die Planungsprozesse bis hin zum Verhalten von Eigentümer:innen und Bürger:innen. Der Abend im Forum Da Vinci zeigte, dass der Dialog zwischen Forschung, Praxis und Gesellschaft der Schlüssel für eine zukunftsfähige, ressourcenschonende Baukultur ist.